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Sonntag, 2. Juli 2017

If I can't dance, it's not my relegation


Gestern in Hamburg gewesen. Wunderbare Lesung in der Tortugabar gehabt, vor wunderbar sympathischem Publikum und gemeinsam mit dem wie immer dufte aufgelegten Abel Gebhardt. Wetter wie überall, aber mehr Plakate. Haben ja auch bald G20 und all das. Was könnte man da als Soundtrack zum Dagegen-Sein auflegen? Slime, klar. Die laufen ja fast schon unter Volksmusik da oben. ...But Alive sicher auch. Allen HSV-Anhängern zwischen Eppendorf und Lüneburg könnte man zwischendurch mal ein kerniges "Hasta la relegation siempre" zurufen. Kriegen sie in der nächsten Saison sicher wieder hin. Ewige Relegation... das hat schon sowas Fegefeuermäßiges.
Davon ab ist es derzeit so, dass viele alte kämpferische 90er-Helden wieder antreten, deren Gesamtwerke man den Einsatzkräften gut über das Soundsystem aller G20-Gegner dröhnen lassen könnte. Platten aus einer Zeit, als es total aufregend war, Stile zusammenzumischen, die bis dahin eigentlich wie Feuer und Wasser waren. Und zusammen eben sehr gutes Feuerwasser ergaben. HipHop und Rock bzw. Punk bzw. Metal zum Beispiel. Die älteren unter den Lesern dieses Heimwerker-Blogs erinnern sich bestimmt.

Rollt also jetzt das großes 90er-Crossover-Revival auf uns zu? Ist wahrscheinlich schon in vollem Gange. Folgt alles den bekanntem Revival-Subkultur-Aufkoch-Nostalgie-Zyklus, wäre es demnach an der Zeit. Und es gibt wirklich ein paar Beispiele von alten Helden, die jetzt, möglicherweise auch inspiriert durch das kreative Tun und Lassen des derzeitigen US-Präsidenten, ihre runzligen Köpfe nicht nur zusammenstecken, sondern sie voller Wut erheben.

BODY COUNT wären in dieser Sache das erste prominente Beispiel. Deren "Bloodlust"-Platte, gerade erst ein paar Monate alt, ist ein hübsches, bolleriges Metalcore-Album geworden (und alle, wirklich alle können mittlerweile ihre Instrumente spielen). Kommt vielleicht immer noch nicht an die erste LP ran, aber die hatte damals ja auch den Bonus, dass Ice-T mit seiner Rockcombo einen wirklich neuartigen Crossover wagte.



Dann wären da noch PROPHETS OF RAGE - diese Ansammlung der wütendsten (!) und kapitalismuskritischsten (!!) und am meisten-für-Revolution-dafür-sein-wollsten (!!!) Helden der 90er Jahre (quasi die Alternative-Version dessen, was uns Formatradios immer als das beste der vergangenen Jahrzehnte verkaufen wollen): Rage against the Machine, Run DMC und einer von Cypress Hill (kiff kiff, bellt mein kleiner grüner Mops da heiser) - alle in einem Topf respektive auf einer Bühne und fertig ist der Aufguss für die Ü-40-Party in der instandbesetzten 90er-Jahre-Sauna.

Nun ja. Es ist nicht zu überhören, dass POR eigentlich komplett nach RATM klingen (inklusive total gefährlich wirkender Alarmsirenensamples), allerdings angereichert mit zwei Rappern, die der gleichen Alterskohorte entstammen. Zack de La Rocha, immerhin normalerweise ziemlich lautes und wütendes Sprachrohr von RATM, ist bei diesem Ding allerdings nicht mit dabei.
Blöd nur, dass vor den Prophets of Rage-Videos auf diversen Plattformen ausgerechnet die Werbung von Konzernen wie Coca Cola vorgeschaltet wird. Passt dann doch nicht so recht. Aber vielleicht muss ich mich daran gewöhnen, dass sowas kein Widerspruch mehr ist.

Davon abgesehen: Die Besetzung dieser (Achtung Scheißwort-Alarm!) "Allstar-Band" war für viele, die mit diesem Sound großgeworden sind, möglicherweise genau der eine Grund, sich das Ticket für die riesigen Open-Airs vom Munde zusammenzusparen, auf denen POR dann gespielt haben. Revolutionäre Töne schwingen und das dann den Massen auf dem kommerzigsten aller Kommerzfestivals, Schlock am Ring, servieren, passt für mich allerdings trotzdem nicht. Immer noch nicht. Passte auch bei RATM früher nicht. Wenn ich jetzt allerdings anfange daran rumzugranteln, klinge ich wie ein alter Mann, der nur noch verbittert ab und zu an seiner Club Mate nuckelt.

Soundmäßig ist das alles natürlich total solide (übersetzt: wenig überraschend) und hat auch nach 20 Jahren genug Biss - und dass diese Band immer noch was zu sagen hat, zeigt der Clip vom Anti-Inauguration-Ball. Musikalische Revolutionen finden aber sicher mittlerweile woanders statt - nicht nur stilistisch, sondern auch geographisch.



Allerdings sind mir Tom Morello, Chuck D und B-real in dieser Konstellation immer noch lieber als irgendwelche altgewordenen deutschen Hüpfaffen, die glauben, sie müssten beim Bühnenacting mit 45 noch ihre Hüfte riskieren. Ich fürchte mich wirklich vor dem Tag, an dem die H-Blockx, Guano Apes oder Clawfinger wieder anfangen, mit den Re-Releases ihrer alten Scheiben die Presswerke dieser Welt zu verstopfen.

Wer früher auch nicht fehlen durfte, wenn Rocker ihre stilistische Offenheit präsentieren wollten und eine Hip-Hop-CD kauften (aber nur eine mit "Parental Advisory"-Sticker, ohne ging gar nichts) waren sicher PUBLIC ENEMY. Die ließen sich möglicherweise durch die Aufmerksamkeitswelle des Prophets-of-Rage-Projekts dazu bewegen, ihrerseits eine neue Platte rauszuhauen. Dabei bedient man sich für das Werk mit dem vor Weisheit strotzenden Titel "Nothing Is Quick In The Desert" durchaus zeitgemäßer Vertriebswege. Soll heißen: Es gibt einen Public-Enemy-Bandcamp-Seite und als gar nicht so blöder Schachzug lässt sich die Platte dort derzeit kostenlos runterladen. Allerdings nur bis zum 4. Juli. Bis zum 4. Juli! Symbolträchtiger geht's für eine US-amerikanische HipHop-Crew gar nicht. ("Runtergeladen am 4. Juni" - könnte ein zeitgenössisches Drama sein. Mit Tom Cruise in der Hauptrolle. Iiih, Tom Cruise.)
Ach, diese alten Kämpfer. Schmeißen nicht nur wie die irren Hexenmeister of Rap unglaubliche Mengen und Vielfalten an Samples in den Kessel, sondern haben jetzt also das Clickbaiting für sich entdeckt.

Ihr seht, liebe Freunde aus Stützstrumpf-City, es ist nie zu spät, um einen Fuß auf Neuland zu setzen. Also husch husch, beeilen und rein in den 90er-Jahre-Zeitmaschinen-Whirpool. Und beim Hüpfen schön auf Hüfte, Meniskus und Fußknöchel achten.


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