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Mittwoch, 28. September 2016

Mehr als PVC

Ein Mann schreibt ein Buch über sein Leben. Ein anderer Mann schreibt dazu ein Vorwort. Schon im zweiten Satz fragt er „Will ich das lesen?“.
Eine durchaus berechtigte Frage, die sich jeder stellt, der dieses Buch in der Hand hält. Er beantwortet diese Frage am Ende seiner Einleitung. Mit einer Antwort, die wahrscheinlich ebenfalls jeder geben würde, der das Buch immer noch in der Hand hält: „SCHEIßE,UND OB ICH DAS LESEN WILL!“.

Bei dem erstgenannten Mann handelt es sich um Gerrit Meijer. Gitarrist bei PVC, einer der allerersten Punkbands West-Berlins. Sowas trägt schnell zur gar nicht selbst gewollten Legendenbildung bei. Die - Herr Meijer wird es sehr gut wissen – kann manchmal mehr Fluch als Segen sein.
Segen, weil sich PVC dadurch, dass sie nach einem VIBRATORS-Gig 1977 mit ihrer Version von Punkrock loslegten, auf ewig ins popkulturelle Geschichtsbüchlein Berlins geschrieben haben. Dazu kommt der Umstand, dass sie auch einige Hits auf der Pfanne hatten, die absolut zum Kanon der Berliner-Punkhistorie gehören. „Berlin by Night“ oder „Wall city Rock“ kennt jeder, der mindestens ein Mix-Tape mit Berliner Punkbands am Start hatte.
Wobei sie das letztere auch gern mal als Label für ihren Sound benutzt haben – um sich eben nicht einfach als average Punkband abstempeln zu lassen. Dafür waren PVC auch immer viel zu eigensinnig, zu individuell und gegen jede Szenekuschelei allergisch.



Der Fluch, der so eine Position mit sich bringt, ist eben, dass der Name Gerrit Meijer auf ewig mit den drei Buchstaben PVC verbunden sein wird. Daneben verblasst vieles, was er sonst musikalisch gemacht hat. Nachdem PVC im Laufe der Zeit zu einer On/Off-Band mutierten, kooperierte Meijer immer wieder mit unzähligen Musikern und Musikerinnen. Musikalische Offenheit, bloß weit weg von jedem engstirnigen Punk-Nietenkaiser-Klüngel, war dabei die Direktive.



Was zu allerlei Projekten führte, die vielleicht einem kleineren Zirkel in West-Berlin bekannt waren, über einen lokalen Status aber nie so recht hinaus kamen. White Russia? Commando Love at least? Rouge et Noir (mit Marianne Rosenberg)? Die amüsante Koop mit Bela B. und Wiglaf Droste? Alles eher dem interessierte Modelleisenbahner bekannt. Auch PVC gerieten irgendwann etwas in Vergessenheit, was wohl den vielen Besetzungswechseln und langen Auszeiten verschuldet war. Trotzdem war die Band immer ein nicht zu unterschätzender Einfluß für nachwachsende Berliner Combos – nicht zuletzt für die frühen Tage der besten Band der Welt.



Da Punk aber wie viele andere Genres mittlerweile einer gewissen Historisierung ausgesetzt ist, wird PVC und auch der Name Gerrit Meijer immer mit dem Siegel der „ersten“ Berliner Punkband behaftet sein. Dabei wird oft vergessen, dass Gerrit mit „der“ Szene und ihren zuweilen recht konservativen Sounderwartungen nie wirklich viel anfangen konnte, was er zuweilen auch mal ganz direkt kommunizierte.
Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass seine musikalische Sozialisation schon viel früher begann. Die allerersten Banderfahrungen machte Meijer schon in den 60ern. Natürlich mit einer Beatband, The Voodoos. Die könnte man wahrscheinlich heute jedem Plattendigger als echtes Berliner Garage-Rock-Nugget verkaufen.

Als das bunte Punkbonbon 1977 richtig knallte, war Gerrit schon satte 30 Jahre alt. Für den Teilnehmer einer frisch aufkommenden „Jugendbewegung“, ein geradezu methusaleskes Alter. Eins, in dem viele andere schon das innere Eigenheim mit festen musikalischem Maschendrahtzaun fertig gebaut haben. Für Meijer ging der Spaß dann erst richtig los. Sich auf was neues einzulassen, sich neu zu erfinden war für ihn aber nie das Problem.

Auf die Einzelheiten dieser wilden "salad days" des West-Berliner Punkrocks will ich hier gar nicht weiter eingehen. Dazu ist schließlich dieses Buch da.
Ich habe für „Berlin, Punk, PVC“ drei Tage gebraucht, um es komplett zu lesen. Das ich es quasi in einem Stück eingeatmet habe, lag an zwei Dingen. Zum einen gab es vor einigen Jahren ein Interview mit Gerrit im Renfield. Weil's so nett war, kam er dann auch noch für eine SubCult-Radioshow ins Studio. Schon damals teilte er mir mit, dass er an seiner Biografie schreibe und ließ mir netterweise sogar das Manuskript als Datei zukommen. Dass da also ein Buch in Vorbereitung war, das ein wichtiger Mosaikstein im großen und ganzen Bild der West-Berliner Musikszene sein könnte, ahnte ich schon. Von daher war ich eh daran interessiert, wie das Endprodukt aussehen würde.



Zum anderen liest sich diese Biografie auch sehr gut und flott durch. Langatmige Passagen finden sich kaum, da folgt eine Episode aus dem Meijer'schen Leben auf die andere. Man könnte eventuell einwenden, dass es an manchen Stellen noch etwas ausführlicher hätte sein können. Gerrits Post-PVC-Zeit wirkt teilweise etwas zerklüftet. Es geht von einem Projekt zum nächsten, zwischendurch eine Reunion seiner bekanntesten band, dazu gibt es die "Pogo Dancing"-EP mit Bela B. Und 2005 die Reunion mit völlig neuen Musikern an Gerrits Seite. Ich hatte allerdings teilweise das Gefühl, dass dazwischen recht große zeitliche Abstände liegen. Es wäre interessant gewesen, da noch mehr zu erfahren. Auch fällt es ab und an schwer, die Übersicht über all die Bands zu behalten, bei denen Gerrit involviert. Eine übersichtliche Diskografie mit zeitlicher Einordnung als Anhang hätte die ganze Sache sicher noch runder gemacht.



Hinzu kommt, dass Gerrit Meijer natürlich in erster Linie Musiker ist. Darauf liegt ein Schwerpunkt dieses Buchs. In einer Biografie geht es aber natürlich auch um das Leben, das Private, Beziehungen, Jobs und die Wahrnehmung der Welt, in der einer lebt. Da fällt es beispielsweise auf, dass die Frauen in Gerrits Leben nur recht kurz als Personen angerissen werden. Hier eine langjährige Beziehung, dann irgendwann die nächste. Die Frauen im Leben des Gerrit M. Bleiben dabei immer ein wenig blass. Ebenso werden dramatische Ereignisse, wie beispielsweise der Tod von Knut Schaller, dem Original-Bassisten von PVC, recht knapp und fast schon beiläufig abgehandelt.



Was dagegen sehr gut vermittelt wird, ist das Bild eines jungen, musikverrückten Typen im West-Berlin, der sich neben der Musik mit allerlei Jobs durchs Leben schlägt. Vieles was da erzählt wird, klingt heute recht amüsant, auch weil man sich gewisse Arbeitsbedingungen und Verhaltensweisen heute nicht mehr so recht vorstellen kann. War halt alles Rock'n'Roll irgendwie. Laut, wild chaotisch und in der Blase West-Berlin oft auch ziemlich nihilistisch. Und gut und kurzweilig geschrieben.
Um also noch mal auf die Frage des Vorwortschreibers, kein geringerer als Bela B. Übrigens, zu kommen: Will ich das denn lesen? Scheiße, natürlich will ich das auch lesen!

Gary Flanell



Die erste Vorstellung von "Berlin, Punk, PVC" mit Gerrit Meijer gibt's am 13.10., 19.00 Uhr in der Milchbar, Manteuffelstr. 41 , Berlin Kreuzberg.

Weitere Termine für Gerrit-Meijer-Lesungen:
30.10. 2016, 19 Uhr, Schokoladen, Ackerstraße 169, Berlin-Mitte
29. 11.2016, 19 Uhr, Pinguin Club, Wartburgstraße 54, Berlin-Schöneberg

Gerrit Meijer:
Berlin, Punk, PVC - Die unzensierte Geschichte,
Eulenspiegel-Verlag, Edition Neues Leben,
256 S., ISBN 978-3-355-01849-4

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