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Montag, 25. Juli 2016

Das gute Leben

Wie geht es bloß, das gute Leben? Ist man die unterdrückenden Strukturen von Familie und Religion erst mal los, könnte es damit losgehen für das freie Individuum. Doch leider hatten wir vergessen, dass Individualität inzwischen definiert wurde über Lohnarbeit, ob es diese nun gibt oder nicht. Die Sozialdemokraten haben aus den Ideen eines Peter Hartz ein Menschenbild gebastelt, gegen das der Fordismus sich wie kuscheliges Biedermeier ausnimmt. Wem es gelingt, sich auf dem Markt der Arbeitskräfte zu behaupten, hat zumeist weder Zeit noch Energie übrig für ein sinnvolles Leben, das ohnehin auf einem Niveau mit Teppichknüpfen und Modelleisenbahnen in die Randnotiz „Freizeitgestaltung“ hineingefaltet wurde.

Doch da sind all diese Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung, in einem irgendwie gelingenden Privatleben. Dafür gibt es zum Glück ein paar lang erprobte Formen. Da weiß man, wie es geht, man wird ohne weiteres verstanden und anerkannt. Mal ausruhen und nicht immer nur machen müssen? Da ist die Couch, der Fernseher, Netflix. Sich mal richtig gut fühlen? Geh dir was Schönes kaufen, hast ja Kreditkarten. Leben auf die Reihe kriegen? Zeit zum Heiraten. Dann Zeit zum Kinderkriegen. Und was kommt als Nächstes? Haus bauen oder Wohnung kaufen. Ist das nun soweit arrangiert, die Stufen des bürgerlichen Lebens erreicht, das Gehalt zusammengeworfen und die Steuer entlastet: dann werden auch Zeittaschen geschaffen für Yoga und Skiurlaub, Chorgesang und Theaterproben. Auf diesem Weg kommen so manche Menschen nach und nach zu einem ausgefüllten und angenehmen, privilegierten Leben.



Warum sind sie privilegiert? Nun, natürlich, weil sie Geld haben. Aber auch, weil sie die Formen leben, die allgemein anerkannt sind. Weil sie nicht weiter darüber nachdenken müssen. Sie können es sich leisten, nachzudenken, wenn sie die Zeit dafür finden. Aber das quälende Nachdenken, das existenzielle, wer davon frei ist, ist privilegiert. Denn man muss dieses Leben auch wollen können.

Mit dem Prinzip Individualität kann nur erreicht werden, was das Individuum will. Anders ist ihm nur mit direktem Zwang, dh Sanktionen beizukommen. Kein Zufall, dass die Ideen von Peter Hartz in eine Werbesprache gefasst waren, die einem Konsumgut angemessener wäre. Gib ihnen ein Schema, das sie wollen können, und halte den Zwang zurück als letztes Mittel.

Was aber passiert, wenn das Individuum nicht will und nicht kann? Studium abgebrochen, nie eine feste Beziehung aufrecht erhalten, es nie in einem ordentlich bezahlten Job ausgehalten? Du hast es eben nicht richtig gewollt, sagen andere und haben recht.
Wir könnten aber auch fragen, ob sich nicht ebenso gut etwas anderes wollen lässt. Nur was? Um etwas wollen zu können, muss es irgendwie bestimmt werden. Es muss konkret sein, und irgendwie, irgendwo sozial anerkannt.



Die Suche nach „Alternativen“ ist eine alte Geschichte. Das Wort „Alternative“ war mal subversiv: als Gegenentwurf zum Etablierten. Wie alle subversiven Entwürfe, die sich verwerten lassen, wurde es vom Mainstream aufgenommen. Denn es passt so schön zum Prinzip Individualität. Jeder kann für sich entscheiden, auswählen, konsumieren. Dabei bleiben die sozial anerkannten Formen immer gleich, weil politisch bevorzugt: so viel Zeit wie möglich für Lohnarbeit (damit sich für den Arbeitgeber die Sozialabgaben lohnen), Modell Kleinfamilie (damit Pflege- und Sorgearbeit unentgeltlich bleibt), und die Illusion individualistischer Entfaltung (unterm Strich zähl ich, sagt die Postbank). Hier tauchen die „Alternativen“ wieder auf: in der Indie-Musik bei Spotify und dem crazy Klamottendesign, natürlich fairtrade. Jetzt bedeutet „alternativ“ einfach: ein bisschen anders, besonders, speziell, und schick.



Ansonsten haben wir eine „alternativlose“ Politik, was bedeutet: „es geht nicht anders, wir müssen alle (erschießen / verhungern lassen / ausgrenzen / verkaufen / einsparen)“. Daneben wabern irgendwo die „alternativen Medien“, die einen eigenen, speziellen, besonderen Weg zum Heil versprechen: zur unverstellten Wahrheit der Verschwörungen, die das Übel der Welt verursachen und nur erkannt werden müssten. Und als besonderes Sahnehäubchen haben wir die Partei „Alternative für Deutschland“. Die einzige Möglichkeit, alles anders zu machen? Die Alternative zur gescheiterten, selbsterklärt „alternativlosen“ Norm? Das, so die AfD, seien sie: die Rechten. Was mal subversiv war, ist jetzt ganz einfach rechts.

Das Problem ist eben die Unterscheidung: Normalität-Alternative. Einer realen Alternativlosigkeit sind immer Entscheidungen vorhergegangen. Der Weg, der als „normal“ etabliert ist, war immer nur eine Alternative unter mehreren. Alle Wege sind Alternativen. Die Ehe ist eine Alternative zu anderen Lebensformen. Alle Lebensstile sind alternativ.



Was das „Normale“ den anderen Alternativen voraus hat: Es ist genau bestimmt, alles andere ist nur Negation. Das Normale hat eine Form, die sich wiederholt. Nur die Ausführungen variieren, wie das Sofadesign bei IKEA. Ob in der Metalkutte heiraten oder im fließenden Hippiedress auf Bali, das ist dann egal. Heiraten ist genau bestimmt. Nicht zu heiraten ist nur eine Negation. Lohnarbeit ist genau bestimmt, jeder andere Zustand nur eine Negation. Das Bemühen um andere Lebensformen ist für die verwirrten und erschöpften Geister oft nicht mehr als das: ein Bemühen. Und bemühen kann sich keiner ewig, wenn sich kein Ergebnis zeigt.



Wie geht das also, zu wissen, was man will, wenn man es sich selber ausdenken muss? Wenn man bisher nur weiß, was man nicht will, oder nicht kann, oder nicht wollen kann?
Mehr dazu in den nächsten Tagen hier auf diesem Blog.

Alissa Wyrdguth

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