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Dienstag, 24. März 2015

Ox-Schreiber-Tour 2015 Schweiz

Part II: Punkrock, Mätel und Möhre und Bregenz-Riedenburg

Kennt ihr eigentlich Bregenz-Riedenburg? Diesen Vorort der Vorarlberger Hauptstadt Bregenz, dieser Stadt also, die da majestätisch am Bodensee liegt und die berühmte Seebühne beheimatet? Also ich kenne jetzt beides, von Bregenz selbst halt nur den Bahnhof (mit Minimalblick auf die Bühne) und von Riedenburg alles. Den Interspar und den DM und den Engelshop, wo ich meine Seele mit Hilfe von Engelsenergie meine Seele heilen kann.
Und Foto Meier natürlich (geiler Bandname übrigens). Und das Wirtshaus, das Samstagnachmittag zu hat und den Kaufmannladen, der ebenso um 16:00 schließt und es Gary Flanell und mir damit unmöglich macht in diesem trostlosesten aller Hauptstadtvororte ein Bier zu kriegen. Ja, und den Bahnhof natürlich auch.

Warum ich das erzähle? Na, wegen diesem Bahnhof eben und weil man dadurch muss, wenn man mit dem Zug von Rorschach nach Hohenems fährt. Gut, St. Margrethen, dieser letzte Ort im Schweizer Staatsgebiet, den wir betreten, bevor es für gut vierundzwanzig Stunden in österreichisches Hoheitsgebiet geht, ist da auch noch. Aber da gibt’s zumindest Bäckerinnen mit Dreadlocks, Berliner mit Aprikosenfüllung (sogar wenn Gary Flanell einmal nicht da ist) und natürlich die Ox-Bar.


Wir hätten ja auf einen Sprung reingeschaut, „Grüazi mitanond“ gesagt, ein Schützengartenbier getrunken und gefragt, ob die Bar einem gewissen Joachim Hiller gehört, aber wir sind ja nicht auf Urlaub, sondern auf Tour und der Zug wartet nicht einmal auf Literatur-Rockstars wie uns. Denn wie gesagt die Schweizer Bahn ist pünktlicher als die österreichische Post und die Zeit fließt nur so dahin, sogar in der Schweiz.
Ja, Riedenburg eben, da muss man durch, gesehen haben muss man es aber nicht.

Rorschach schon, Rorschach ist geil, das hat euch aber Gary Flanell schon erzählt. Und Hohenems gefällt mir auch ziemlich gut. Klar, eine Großstadt ist das nicht, muss es auch nicht sein. Kleinstadtidylle pur, Jugendstilkrankenhaus, gerne mal ein Bauernhof zwischen drinnen oder eine Wiese. Und egal wo du hinsiehst, irgendwo lacht dir immer ein Riese von einem Berg entgegen. Bier kriegst du hier auch keines, aber egal, wir wollen jetzt auch gar kein Bier mehr und schlendern lieber gemütlich, kaum sind wir raus aus dem Zug und haben beim Fragen nach dem Weg eine Ehe zerstört.
Sie: „So finden’s aber leichter“; Er: „Ja, aber der Weg ist schneller“; Sie: „Aber die kennen sich hier ja nicht aus“; Er: „Ja, aber der Weg ist schneller“; Sie: „Aber so ist es doch viel leichter zu finden“ , Er: „Aber der Weg ist doch schneller“ usw.

Das ProKontra sieht schon mal schick punkig aus, obwohl es eigentlich ein Einfamilienhaus ist und wir haben etwas Zeit, uns das alles genau anzusehen, die Hausfassade, die Bergkulisse etc., denn die Veranstalter sind noch nicht da. Wenig später biegt aber ein Benz um die Ecke und Punkrock Weiner und Mätel steigen gut gelaunt Säcke voller Lebensmittel und Bierflaschen schwingend aus. Möhre, die Kitesurflehrerin auf Urlaub kommt später auch noch. Dass Punkrock eigentlich Pascal heißt, erfahren wir später. Wie Mätel und Möhre heißen, ist uns nicht bekannt und im Folgenden auch nicht von Belang.
Wäre dies hier ein Kinderbuch mit dem Namen „Punkrock, Mätel und Möhre“ würde das nächste Kapitel jedenfalls „„Punkrock, Mätel und Möhre kochen Lasagne“ heißen. Später gibt es noch „Punkrock, Mätel und Möhre zeichnen eine Lesung auf“ oder „Punkrock, Mätel und Möhre reden über Berge“. Nicht zu vergessen: „Punkrock, Mätel und Möhre trinken Bier und hören Punkrock“.
Die Lasagne schmeckt übrigens hervorragend und die Zubereitung läuft charmant-chaotisch ab. Ich lasse mir währenddessen vom hiesigen W-LAN die gesamten Emails eines ganzen Monats fressen, während Gary Flanell, der ja doch schon über vierzig ist, erst einmal eine Runde schlafen geht.
Später siedeln wir vom einmal mehr großartig großen und komfortablen Backstagebereich ins „Beisl“, also die Kneipe, wo die Lesung stattfinden wird und ansonsten Punkrockkonzerte über die Bühne gehen. Der Sound ist schnell gecheckt und dann heißt’s erst einmal „Punkrock, Mätel und Möhre sowie Gary und H.C. warten auf Publikum“.

Das kommt dann auch in Form von fünf zwielichtigen Gestalten mit kurzen Haaren, die niemand so richtig zu kennen scheint. Es riecht nach Ärger, der aber ausbleibt, ob das jetzt die hiesigen Dorfnazis, Kleinstadtprolls oder einfach nur harmlose Betrunkene sind, erfahren wir nicht. Wir starten dann aber dennoch den Abend. Ich beginne mit Schwänken aus meiner Schulzeit, von den fünf Gästen schlafen zwei, zwei unterhalten sich, einer hört wirklich interessiert zu. Zumindest bis ihre Biere leergetrunken sind und die fünf wieder von dannen ziehen und nicht mehr hören, wie Gary Flanell von der Geburt der leibreizenden Spinne Pup erzählt.

Punkrock, Mätel und Möhre bleiben aber da, hören interessiert zu und zeichnen die ganze Sause für Radio Proton, dem im Haus ansässigen Radiosender des den Laden führenden Vereins Transmitter, auf. Nach einer kurzen Pause geht’s weiter, die Spinne Pup trifft Darth Vader und Billy Pinguin wird Rockstar.

Und dann, dann ist es endlich soweit, die Live-Premiere der großartigen URS GROB BOOTSBETRIEB. Da spazierst du noch am Vormittag am Bodensee, sagst ohne nachzudenken mit Fingerzeig auf ein gelbes Hüttchen: „Haha, geil, Urs Grob Bootsbetrieb, geiler Bandname“, weil du sowieso immer und überall nur in Bandnamen denken kannst und schon stehst du am Abend in einem Kulturzentrum in Vorarlberg und performst mit Gary Flanell unter diesem Namen einen Song, der früher einmal ein Text war, übers Polizistenessen. Gary spricht und rappt, ich klopfe und schreie Background und Mätel drischt auf die Drums ein. Geil. So geht Punkrock.

Später wird dann noch ein bisschen was, aber nicht viel - wir sind ja keine zwanzig mehr - getrunken und mit den sympathischen GastgeberInnen getratscht und so einiges gelernt: Das es in Sri Lanka keinen Leberkäse (also Fleischkäse) und auch keinen Salat gibt beispielsweise und dass das „L“ in „Radio L“ für „Liechtenstein“ steht. Irgendwann fährt Mätels letzter Zug nach Feldkirch, Möhre lässt sich auf das Sofa fallen, Punkrock auf ein anderes und Gary und ich uns in die Betten oben im großen Schlafraum.

In der Früh gibt’s hammermäßiges Frühstück und die vereinbarte Fixgage (da wären wir also wieder beim Geld), was uns ein weiteres Mal sehr freut. Das sollte selbstverständlich sein, sagt du, die vereinbarte Fixgage zu bekommen? Na, dann geh du mal auf Punkrocklesereise ohne Vertrag.
Egal, geile Stadt, geile Location, super Leute, spaßige Lesung (gut gelesen haben wir auch, wie ich finde), finanziell alles wunderbar und sowieso ein super Abend. Hohenems war ein voller Erfolg. Ja. Publikum wäre natürlich auch kein Fehler gewesen. Aber lieber lese ich vor „Punkrock, Mätel und Möhre und dem Aufnahmegerät“ und habe dabei Spaß und Aufmerksamkeit, als ich lese vor fünfzig laut plappernden Kneipengästen, die eh nur wegen dem Localsupport da sind – hatten wir doch auch schon, letztens in Köln, Sie erinnern sich, Herr Flanell?.
Ja, Punkrock, Mätel und Möhre, danke!

H.C. Roth

Verpassen Sie nicht die folgenden packenden Abenteuer von Bern: *** HC Roth und Gary Flanell und der freundlichste Taxifahrer von Bregenz** Wein kaufen in Bern mit einem Mann, den sie Lepra nannten*** Und dazu: Gags und Gäste und strahlende Lesende*** nächste Woche im dritten Teil des Ox-Schreiber-Tourtagwebuchs 2015!!!

Mittwoch, 18. März 2015

Ox-Schreiber-Tour 2015 Schweiz

Part I: Backpulver und Bodensee

Was bisher geschah:
Nachdem das Ox-Trio Gaffory, Parkinson und Flanell im letzten Herbst schon einige Abenteuer im Südwesten Deutschlands erlebt hatte, ging es nun etwas tiefer. Nicht qualitätsmäßig, sondern geografisch. Aber die Reihen der Teilnehmenden hatten sich gelichtet und verändert. Die ursprünglich geplante Quartettbesetzung Gaffory, Parkinson, Flanell und Roth schmolz im Laufe der Planungen zu einem dynamischen Duo zusammen. Von den vier anvisierten Lesungen blieben am Ende drei übrig. Zartbesaitete Persönlichkeiten würden sich angesichts solcher Entwicklungen in der Projektplanung in Panik von allen Aktivitäten zurückziehen. Die beiden übriggebliebenen, HC Roth und Gary Flanell, tun sowas nicht. Vielleicht ist es Wagemut oder Fatalismus im Oberstübchen, der dir sagt, dass man das trotz solcher Widrigkeiten jetzt erst recht durchziehen müsse. Vielleicht auch nur eigene Blödheit.

Die Schweiz stand ehrlich gesagt nicht wirklich ganz oben auf meiner Lesereise-Wunschländer-Liste. Einen Grund dafür gibt es nicht. Vielleicht dachte ich bisher, da ist es ja ganz nett, aber ein vielleicht auch ein bißchen langweilig. Ok, tolle Berge haben sie, davon nicht zu knapp, aber die lösen bei mir keine Begeisterungsstürme aus. Welche Landschaftsform das überhaupt könnte, ist unklar. Meer und Küste und Wasser vielleicht. Endlose Wasserflächen, die sich am Horizont verlieren und ich mich in Gedanken mit ihnen. Eventuell.

Dabei musste ich feststellen, dass es so was ja auch in der Schweiz gibt. Wasserflächen, die absurd groß erscheinen. Aber der Reihe nach. Komm ich in Basel am Flughafen an, spaziere ich aus dem Ding raus. Frage mich, warum ich so Angst hatte, vom Zoll wegen meiner mitgeführten Stuntmänner unter Wasser (Da! Wieder eine Wasser-Referenz!) befragt zu werden, Und dann war da kein Zoll. Gar nix war da. Alles ganz unkompliziert. Bus fährt vom Flughafen zum Bahnhof. Zug fährt vom Bahnhof Basel zum Bahnhof Zürich. Dort verlasse ich nicht mal das Gleis, um den Anschlußzug zu bekommen, sondern purzele auf die andere Seite rüber. Zug steht schon da, als wollte er schon anrufen und fragen, wo ich bleibe. So reibungslos läuft das auch in St. Gallen und auch bei der Ankunft in Rorschach. Das auf der einen Seite hohe Berge und auf der anderen die erwähnten unendlichen Wasserflächen des Bodensees zur Begrüßung auffährt.

Und überall scheint die Sonne, das ist natürlich etwas, womit man jeden Berlinbewohner sofort locken kann. Ein bißchen fühle ich mich, als würde ich mit einer real gewordenen Modelleisenbahn durch die Gegend fahren. So blitzeblank kann die Realität gar nicht sein. Irgendwo da hinter den schneebedeckten Hängen, so vermute ich, da muss er stehen: Der große Märklin-Trafo, der das hier alles, die ganze Schweiz, in Betrieb hält. Geht gar nicht anders.

In Rorschach dann mit dem Aufzug in die Stadt. Liegt ja alles am Hang. Zum Treppenhaus, der Ort in dem wir lesen werden, muss ich wieder runter Richtung See. Hatte schon Befürchtungen, das Treppenhaus wäre ein zugiger Flur, vollgepisst, siffig, eng und kalt und wir würden da im Kerzenlicht unter der Kellertreppe den einzigen beiden Rorschach-Punks was vorlesen. Aber nein. Das Treppenhaus ist ein wunderschönes Gebäude im Herzen Rorschachs, das seinen Namen von der gestuften Form seines Giebels hat.

HC Roth trifft auch irgendwann ein und ungläubig nehmen wir wahr, wie wir hier aufgenommen werden. Bekommen ein eigenes Schlafzimmer für die Übernachtung! An der Tür steht sogar „Künstler“ dran! Es gibt echte Betten, kuschelige Kissen und weiche Decken und alles! Nebenan die Ludothek für Rorschachs Kinder. Oben drüber die kleine heimelige Bibliothek und unten das kleine gemütliche Café, nur durch den Vorhang getrennt vom Konzertsaal, wo wir abends dann lesen. Großes Erstaunen unsererseits, als wir den Eintrittspreis für die Veranstaltung wahrnehmen. 15 Franken, really? Kein Einspruch, aber soviel Geld erscheint uns, nach den bisherigen Lesetour-Erfahrungen mit rumgehenden und schlecht gefüllten Hüten, doch etwas surreal. 15 Franken für eine Veranstaltung von zwei Künstlern, die ehrlich gesagt niemand kennt, scheint aber hier normaler Tarif und keineswegs überzogen zu sein. Na, dann wollen wir auch nichts gesagt haben.

Zu unserer allerersten Lesung in Rorschach City verkneife ich mir allerlei schlechte Witze, die was mit der Stadt zu tun haben. Kein Geblödel über a) TEST-Personen oder b) über Watchmen-Charaktere oder c) Strategiespiele im Klempnermilieu. Nein, nein, nein. Das haben unsere sechs Gäste nicht verdient. Dazu haben sie zu aufmerksam unserem Vortrag gefolgt. Und weil der einzige Schweizer, den ich persönlich kenne (Hallo Odessa-Oliver!) eine zweistündige Zugfahrt auf sich nimmt, um zur Lesung zu kommen, freue ich mich umso mehr.
HC startet mit Auszügen seinem Pinguin-Rockstar-Opus, den Frosch-mit-Socken-Geschichten und der neuen Story mit dem Hundekoch. Ich schiebe die Story der kleinen Spinne Pup und dem Seehund hinterher. Am Anfang sind wir also etwas tierlastig. Nach der Pause dann nicht mehr, soll ja keiner sagen, wir würden nur Tiergeschichten schreiben. Zu unserer großen Freude sind nach dem Break noch alle sechs Zuschauer da. Das freut uns so sehr, dass wir ihnen von der Bühne aus einen donnernden Applaus spendieren.

Nach der Lesung hängen wir noch am Tresen im Treppenhaus rum, werden mit reichlich Bier und Nussschnaps bewirtet. Man kommt leider nicht umhin, in der Schweiz immer mal wieder das Geld zu erwähnen. 15 Franken schien uns schon als Eintritt irreal viel. Wie sich rausstelt, haben aber nur drei Gäste wirklich gezahlt, weil die anderen ein Jahreabo für alle Treppenhaus-Veranstaltungen haben. Bleiben also 45 Franken, die an HC und mich gehen sollen. Was wir schon ganz ok finden und noch ein Bier ordern.
„Wir legen euch noch ein bisschen was drauf“, sagt dann der nett zurückhaltende Kneipier und verschwindet hinter der Bar. Kurz darauf kriegt jeder von uns einen nicht unerträglichen Batzen Geld in die Hand, der zumindest schon mal die Fahrtkosten gut abdeckt. Würde gern mal wissen, wie zwei etwas zerknautscht wirkende Literaten aus Österreich und Deutschland so auf die Schweizer wirken, wenn sie ungläubig so viel Geld entgegennehmen, wie sie noch nie, never, jemals für irgendeine Lesung bekommen haben. Fühle mich an diesem Abend wirklich wie ein Künstler. Und das liegt nicht nur am Nussschnaps und der geruhsamen Nacht im Künstlerzimmer.

Morgen danach. Wieder Sonnenschein, hinten ruhen die Berge, vorne ruht Bodensee. Wie halten die Rorschacher so viel Idyll eigentlich aus, wenn sie es Tag für Tag haben? Zerfließt man dann nicht irgendwann hinten im Wald einfach vor Ausgeglichenheit? Rorschach ruht am Samstagmorgen. Auch als wir am Ufer des Sees rumflanieren und, ohne es zu ahnen, die Gemeindegrenze zu Goldach überqueren, bricht keine Revolution aus. Wir treiben uns am Goldacher Hafenbecken rum und kommen uns ziemlich gefährlich vor. Irgendein anonymer Rebell hat die weisen Worte „Gott Furzt“ auf einen Mülleimer gekritzelt. Voll Punk, das. Für HC und mich ist dieser Tag die ideale Vorlage, um den ersten Song unseres neuen Electro-Punk-Spoken-Beat-Word-Electro-Projekt „URS GROB BOOTSBETRIEB“ zusammen zu dichten. Da werden noch große Dinge kommen. Zwei Männer, zusammen Mitte 70, aber körperlich fit wie Pippi Langstrumpf, werden die Popkultur stärker beeinflussen als Sonny & Cher, Milli Vanilli und Modern Talking zusammen. Könnt ihr glauben.

Weil wir echte Punkrocker sind, MÜSSEN wir natürlich auch ins einzig auffindbare Musikgeschäft von Rorschach. Dort verwickelt uns der Besitzer, ein blondhaariger Rocker, auf den das etwas altmodische Etikett „Bluesmucker“ wohl am besten passt, in ein Gespräch über all die Bands, mit denen er früher in Österreich unterwegs war. Mit dem Wilfried und den STS und wer weiß noch alles. Er kennt sie alle und hat mit allen gespielt. Eigentlich unterhält sich der Eric-Clapton-Verehrer mehr mit HC, weil er dessen Grazer Akzent so sympathisch findet. Kann ich mit leben. Gitarren oder reduzierte Effektgeräte kaufen wir aber nicht, dafür reicht die üppige Gage aus dem Treppenhaus dann doch nicht.

Im Supermarkt um die Ecke starten wir unter dem Eindruck der für unsere Verhältnisse interessanten Preisgestaltung den Wer-findet-den-billigsten-Artikel-im-Sortiment-Wettbewerb. Klarer Sieger diesmal: HC Roth, der mit Triumphgeschrei ein Päckchen Backpulver für 30 Rappen entdeckt. Das ist es also. Falls der absolute worst case von Hunger und Geldnot eintreffen sollte, könnten wir uns bis zur Rückkehr nach Berlin und Graz zumindest mit einem vollstopfen: Gutem Schweizer Backpulver. Könnten wir auch mit über die Grenze schmuggeln und in Bregenz-Riedenburg als schlechtes Koks verkaufen. Denn am Nachmittag geht es für uns weiter nach Österreich. Next Stop: Hohenems in Vorarlberg.

Gary Flanell


Nächste Woche auf dem Renfield-Blog:
Ox-Schreiber-Tour 2015 Schweiz Teil II – von HC Roth
Verpassen Sie nicht die folgenden packenden Abenteuer on Hohenems:
Berliner Aktion in St. Margareten*** Showdown in der Ox-Bar***HC Roth und Gary Flanell und die unbekannte Fünferbande***Metäl, Punkrock Weiner und die heimwehkranke Kitesurferin von Hohenems*** und viele weitere Abenteuer von Europas neuer Electro-Beatitude-Hoffnung URS GROB BOOTSBETRIEB!!!

Dienstag, 3. März 2015

No. Stage. For. Rapists.


„Also ihr meint, ihr wollt das nicht hinterfragen...“ Eine nachdenkliche, irgendwie zaghafte Stimme. „Das versteh ich, ja... Aber sind wir denn ganz sicher, dass es nicht...“ Die Stimme verstummt kurz, obwohl man ihr angehört hat, dass sie noch etwas auf dem Herzen hat.
„Dass es nicht... was?“ fragt eine andere Stimme aus der Runde nach, freundlich, aber auch schon mit einem etwas unglücklichen Unterton. Alle wissen natürlich, was jetzt kommt und dass das Problem prinzipiell nicht zu lösen ist. Die Stimme nimmt ihren Mut zusammen. „Dass es nicht auch Missverständnisse geben kann?“

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein junger Mann im Besitz einer Gitarre, einer Band und einer Bühne Anspruch auf die Aufmerksamkeit von Frauen hat. So oder so ähnlich schrieb schon Jane Austen. Und auch wenn Groupietum inzwischen deutlich weniger zeitgemäß ist als Jane Austen, hält sich selbst in der subkulturellsten aller Untergrundszenen irgendwie hartnäckig die Vorstellung, dass da doch was gehen MUSS mit irgendeiner dieser jungen, manchmal sehr jungen Frauen im Publikum. Müssten sich die Mädels nicht irgendwie, na ja, sagen wir doch mal, geehrt fühlen? Ist nicht der Typ auf der Bühne irgendwie ein bisschen auch ein Star? Und wenn das nun zu Missverständnissen führt?
Neben dieser allgemein anerkannten Wahrheit gibt es da eine Geschichte. Die Geschichte wurde zwei Musikerinnen erzählt, die gemeinsam in einer Band spielen. Die beiden Musikerinnen waren in Tel Aviv unterwegs und trafen dort auf eine junge Frau, die den Kontakt zu ihnen über ein beliebtes soziales Medium gesucht und gefunden hatte. Die junge Frau hatte festgestellt, dass die Band der beiden Musikerinnen auf dem Online-Sampler eines kleinen Berliner Indie-Labels vertreten war. Auf diesem Sampler befand sich auch eine andere Band, die der jungen Frau persönlich bekannt war. Sie erzählte den beiden Musikerinnen, dass sie von einem Musiker dieser anderen Band zwei Jahre zuvor in Tel Aviv vergewaltigt worden sei.

Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe sind im Verständnis vieler Menschen von einem Nebel des Unbehagens umgeben. Es sollte nicht so sein, aber schon beim ersten Erfahren von einer solchen Geschichte spaltet sich die Zuhörerschaft in zwei: in solche Menschen, die sich selbst vorstellen können, dass ihnen etwas derart Verletzendes widerfährt, die vielleicht auch wissen, wie es sich anfühlt. Und in solche, die es sich nicht vorstellen können und nicht wissen, wie es sich anfühlt.
Diese Menschen wissen natürlich, dass es sich um eine ernste, wichtige, schmerzhafte, ja existenzielle Angelegenheit handelt. Aber sie wissen es eben nur, sie fühlen es nicht. Sie fühlen, dass sie gezwungen werden, sich mit etwas zu befassen, womit sie sich ganz und gar nicht befassen wollen. Viele von ihnen werden nun versuchen, da sie ja zu der Auseinandersetzung gezwungen sind, möglichst gerecht und vernünftig zu sein. Wie urteilt man gerecht und vernünftig über ein Ereignis, von dem man erzählt bekommt? Wie kann eine Zuhörerschaft ein Urteil über einen Bericht fällen? Gibt es Zeugen? Nein, meistens und auch in diesem Fall gibt es keine Zeugen. Es gibt nur die Person, die sprechen will, und die Person, die schweigen will.


Natürlich hätte auch das ein Missverständnis sein können. Denn der junge Mann wollte ja nichts Böses. Er war, so sagte er auf die Frage eines Freundes hin, unter dem Einfluss euphorisierender Substanzen. Gewiss könnte er die junge Frau missverstanden haben, der er im Dunkeln gefolgt ist. Er könnte missverstanden haben, dass ihm eine eigenständige Person mit einem eigenen Willen gegenüber steht. Vielleicht hat er sie verwechselt mit einer Art belebter Puppe, die von einem fröhlichen, gutmütigen Marionettenspieler zu seinem ganz persönlichen Vergnügen bereitgestellt worden ist.
Die junge Frau hat selbst lange Zeit geschwiegen. Es gab dann aber einen Punkt, an dem sie entschieden hat, dass es ihr helfen wird und dass es ihr möglich ist, zu sprechen. Anfangs tat sie das im Rahmen einer subkulturellen Szene in Tel Aviv. Dort wurden die Anschuldigungen tot geschwiegen. Man wollte die Szene schützen. Dennoch tauchten hier und da noch andere, ähnliche Geschichten auf. Die Band ist inzwischen aus Israel verschwunden. Sie lebt und spielt jetzt in Berlin.

Heute ist die Band nicht mehr auf dem Online-Sampler des kleinen Berliner Indie-Labels vertreten. Denn die beiden Musikerinnen, die als erstes selbst mit ihrer Band von dem Sampler zurückgetreten sind, haben mit einer Gruppe von Gleichgesinnten zusammen ein Schreiben aufgesetzt und sind damit an die Öffentlichkeit getreten. Das heißt, an einen Teil derjenigen Öffentlichkeit heran, die sich ihrer Meinung nach für das Sprechen und das Schweigen über sexuelle Gewalt interessiert – und für Bands und ihre Bühnen. Diese Gruppe von Gleichgesinnten nennen sich No Stage For Rapists.

Eine Bühne geben, heißt, jemandem Raum für eine Performance zu geben und damit auch Macht. Denn es gibt tatsächlich eine Art der intensiven, fast erotischen Beziehung zwischen einer Band auf der Bühne und ihrem Publikum. Die Band kann die Aufmerksamkeit dieser Menschen beanspruchen und nutzen, ihre Gefühle bewegen, sie vielleicht sogar begeistern. In einer kapitalistisch geprägten Verwertungskultur zählt dabei nur, wie sich die Band so vermarkten lässt, dass sie möglichst viele Menschen vor die Bühne bringt.
Wenn es eine Alternative zu dieser Kultur gibt, kann sie nicht nur darin bestehen, dass wir die Musik zu schätzen wissen. Denn die Beziehung zu einer Band ist mehr als nur Musikkonsum. Von einer Band, der wir Bühne geben, dürfen wir eine gewisse Haltung erwarten, nennen wir es ein Bemühen um Integrität. „Es war bloß ein Missverständnis“ reicht da irgendwie nicht ganz aus.
Niemand wird jemals genau wissen, was sich zwischen der jungen Frau und dem jungen Mann damals abgespielt hat außer den beiden Beteiligten. Wir brauchen es auch nicht zu wissen. Wir sind nicht aufgerufen, eine solche Geschichte zu bewerten und zu urteilen, aber wir dürfen erwarten, dass sie nicht einfach totgeschwiegen wird mit dem Verweis darauf, dass ja eigentlich nur die Musik zähle. Das wäre nun wirklich ein Missverständnis.

Alissa Wyrdguth

Fragen? Gerne an no.stage.for.rapists@googlemail.com.