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Mittwoch, 15. April 2015

Parallelwelten

oder: Der erste Synthesizer in Lateinamerika

Heute, liebe Kinder des guten Geschmacks, wollen wir euch einen Mann vorstellen, den keine Sau kennt, aber jede Sau kennen sollte. Sein Name ist José Vincente Asuar und er ist der latein-amerikanische Pionier der elektronischen Musik. Er kann durch die Straßen gehen, als wäre er ein niemand, wie wir. Kein Hahn kräht nach José Vincente Sowieso.

Er lebt etwas zurückgezogen, mitten im Grünen, umgeben von zwitschernden Vögeln und Kätzchen. Hinter seiner Wohnungstür in Chile verbergen sich aber Schätze, die die Entwicklung der elektronischen Musik Lateinamerikas nachvollziehbar machen. Natürlich hat er einen Computer, aber daneben finden sich allerlei, zum Teil in Plastik eingewickelte, technische Gadgets für Musikproduktionen. Ein bisschen wie Ted Kaczynski seinerzeit, nur ohne Bomben. (Dafür sind in Chile andere zuständig.) Der Unabomber lebte ja seinerzeit zurückgezogen im Wald und schickte Briefbomben an den einen oder anderen Großkonzern. Außerdem war er an der Frühentwicklung heutiger Computer beteiligt und gab eine Zeitschrift heraus, in der unter anderem erklärt wurde, wie man beispielsweise ein Schaf schert, um die Leute zur Autonomie zu erziehen.

Ganz so ist es bei unserem Protagonisten nicht. Zwar ist auch in seiner Umgebung die Komplizenschaft von Synthetischem und Organischem zu finden, jedoch braucht er kein Manifest, das ihn zu Innovationen inspiriert. Anders war es bei den Franzosen Pierre Schaeffer und Pierre Henry, die um 1948 erstmals auf die Idee kamen, aus Strom Musik zu machen. Sie lasen das „Futuristische Manifest“ von Filippo Marinetti, der mehr als fragwürdige Ansichten hatte, weil er ein Nazischwein war, und die Idee mit Alltagsgeräuschen zu experimentieren wurde geboren.

„Die Kunst und die Künstler an die Macht“ war vielleicht einer der Sätze, die sie aufgeschnappt haben, um der sogenannten „musique concrète“ Leben einzuhauchen. Nachdem alle genug hatten vom Weltkriegen, konnten sie sich wieder wichtigeren Dingen zuwenden, wie beispielsweise der Entwicklung besserer Mikrofone, Plattenspieler und vor allem der Entwicklung des Tonbands.

Zur selben Zeit, auf der anderen Seite des Planeten vollzog sich derselbe Experimentiertrieb junger Komponisten, ohne die Arbeit der musique concrète zu kennen. Die GEMA, also das Gabinete de Electroacústica para la Música de Arte wurde von Juan Amenábar und José Vicente Asuar gegründet und erst seit 2005 bekommen sie etwas mehr (als keine) Anerkennung. Zu diesem Zeitpunkt ist Asuar 72 Jahre alt. Er erwartet keinen roten Teppich, aber er hofft, dass die nächste Generation von Komponisten ihn mit der Zeit in Verbindung bringt, da er den ersten Synthesizer Lateinamerikas schuf, denn die Komponisten für elektronische Musik waren bis dato in der medialen Öffentlichkeit völlig unbekannt.

Asuar komponierte seine Werke unter anderem in Deutschland, wo er 1960 das Labor für elektroakustische Musik in Karlsruhe gründete und leitete, da das Interesse der akademischen Behörden seiner Heimat quasi Null war, die elektronische Musik in diesem Bereich zu unterstützen. 1978 machte er seine eigene Bude auf, die sich COMDASUAR nennt. Seither versuchen die chilenischen Komponisten das Gefühl der Verwaisung zu überwinden. Es ist für sie fast unglaublich, dass die heutige Generation plötzlich Interesse an deren Arbeiten zeigt. Sein Album „El Computador Virtuoso“ wird heute mit dem Prädikat: besonders wertvoll gehandelt. In seinem Buch "Así habló el computador“ (Also sprach der Computer) beschreibt er seinen Arbeitsprozess.

Nicht nur die Lähmung der Militärdiktatur, sondern das generelle Desinteresse warfen die Komponisten Chiles in eine bleierne Zeit. Zwischen 1985 und 1992 ist gar nichts, aber auch absolut gar nichts in Sachen Grundsteinlegung des Tekkno passiert. Absolute Stille und langweiliger wiedergekäuter traditioneller Scheiß war alles, was man von den Huasos derzeit erwarten konnte. Erst durch die Wiederbelebung des Elektroakustischen Kabinetts für Musik entstanden neue Kompositionen, u.a. vom Wegbegleiter Asuars - Juan Amenábar, der unter anderem ein Stück namens "Los Peces" (Die Fische) schuf.

Ich versuch das mal zu beschreiben: orgelartige Flächen, die sich gegenseitig unterbrechen, ohne Rücksicht auf harmonische Strukturen. Pausen, die wie Fehler klingen und alles aneinander gereiht, als würde ein Schwarm Fische auf Tranquilizern die Strömung in einem dickflüssigen See nicht finden, weil sie vergessen haben, was sie suchen. Er hat das Stück in den Studios von Radio Chile fertig gestellt. Genau wie die Franzosen Henry und Scheffer, die in einem Labor für Radio und Fernsehen in Paris das erste wichtige Werk der musique concrète, die "Symphonie pour un homme seul" komponierten.

Amenábar nahm eine Reihe von Akkorden auf, die er auf dem Klavier spielte. Danach arrangierte er das Ganze rhythmisch nach der Fibonacci-Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, … ) - klar, was sonst?! Er benutzte die gleiche Technik wie in der musique concrète. Juan Amenábar hat den Klang des Klaviers aufgenommen und den Moment, da der Hammer die Saite trifft, weggeschnitten und lediglich die Resonanzen zusammen gefügt. Es folgte das Stück "Nacimiento" (Geburt) des chilenisch-israelischen Komponisten Léon Schidlowsky. Es gilt als das erste Stück der chilenischen musique concrète. Das Hauptelement ist die musikalische Simulation des Herzschlags. In dieser Arbeit gibt es keine elektronischen, sondern nur alltägliche akustische Elemente, deren Aufnahmen Lasagne-artig übereinander geschichtet wurden.

José Vincente Asuar klingt aber ganz anders, weniger nach ersten Gehversuchen, als nach beabsichtigtem gezielten Sound. Seine Stücke sind zumeist geile gruselige Sachen. Auch werden seine Ideen auf andere Aspekte der Kunst ausgeweitet. Asuar schrieb zum Beispiel die Musik zu einem Stück für acht Film- und fünfundvierzig Diaprojektoren, das in Caracas aufgeführt wurde. Sein berühmtestes Werk heißt "Variaciones Espectrales" (Spektralvariationen), mit dem er 1959 das erste chilenische rein elektronische Stück komponierte. In diesem Stück experimentiert er musikalisch mit dem Pointillismus, was eigentlich eine Stilrichtung in der Malerei ist. Typisch für den Pointillismus ist, laut Definition, der streng geometrisch durchkomponierte, oft ornamental wirkende Aufbau.
Er gilt als eine Gegenströmung zum Impressionismus und strebt nicht mehr eine realistische Momentaufnahme an, sondern die Wirklichkeit wird komponiert (besser: eine Komposition der Wirklichkeit). Asuar macht in seinem Stück genau das. Er nutzt keine klassischen Instrumente, sondern widmet sich ganz allein der radikalen und fantastische Aufgabe, einen Computer zu erschaffen, der einzig zur Erzeugung elektronischer Musik dienen soll. Diese entstand in der Universidad Católica de Chile. Asuar selbst sagt über das Stück, dass es für ihn eine große Ehre ist, dass das Stück als Referenz für die Anfänge von computergenerierter Musik gilt. Dank der neuen Komponisten, die diese Musik kultivieren, also alles, was im Berghain oder im Institut für Zukunft Leipzig zum Beispiel die Bühne betritt, wird seine Arbeit am Leben gehalten.


Gegenwärtig ist er Teil einer Forschungsgruppe “Tecnología del Sonido“ (Technologie des Klangs) an der Fakultät für Naturwissenschaften, Musik und Darstellende Kunst der Universität von Chile. Hier werden Synthesizer mit dem Rechner verbunden, was in Chile absolut originell ist, da hier nur bedingt auf eigene Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann.

Ein Mitglied der chilenischen elektroakustischen Gemeinschaft (Cech) sagt, dass das Besondere an Asuars musikalischem Werk ist, dass er das Verständnis für musikalische Komposition als Prozess in den Vordergrund rückt, da er theoretische Forschungsergebnisse mit praktischer Anwendung verknüpft. Die akademische Anerkennung seiner Person resultiert aber vor allem aus der Wertschätzung seiner Arbeit durch nichtakademische Kreise. Mittlerweile wurde er mit zahlreichen Preisen bei internationalen Wettbewerben ausgezeichnet, denn er war bereit sich der Überarbeitung mit den gegebenen Materialien zu stellen und seine Sprache als Komponist zu überdenken. Stillschweigend entwickelte er den ersten leistungsfähigen Synthesizer seiner Zeit, den virtuosen Computer und das zu einer Zeit, da der Alltag Chiles unter einem großen Schatten stand. Es war unmöglich mit den gegenwärtigen Einschränkungen vier Hubschrauber wie Stockhausen zu arrangieren oder Synthesizer mit anspruchsvoller Ausstattung zu benutzen. Seine Beziehung zur elektronischen Musik sei erst spät entstanden sagt er. Auch wenn er die Arbeiten von Bulez oder Cage kennt, hat er doch eine ganz eigene, instinktive Beziehung zur experimentellen Musik.

Der Musiker musste als Ingenieur denken und da Asuar außerdem ausgebildeter Bauingenieur ist, waren der Keyboard-Synthesizer und Computer-Programme die ideale Erfüllung seiner musikalischen Träume. Er wollte nicht experimentieren, mal gucken, was dabei raus kommt, sondern er wollte seine persönliche Vision verwirklichen. Natürlich experimentierte er anfangs mit Tape-Kollagen, Filtern und Effekten, die die ästhetischen Leitlinien bildeten, aber es gehört ein bisschen mehr dazu, nach so langer Zeit der Ablehnung, heute zu einem der wichtigsten Forscher und Förderer der elektronischen Musik der Gegenwart zu werden.

In der Zwischenzeit hat sich eine Menge Kram in Asuars kleiner Bude angesammelt. Blätter mit Zeichnungen, die eher nach technischen Konstruktionen als nach Notationen aussehen. Und doch gibt es eine Verbindung zwischen diesen alten Aufzeichnungen und dem gegenwärtigen Einfluss elektronischer Musik auf die junge Generation, bei denen experimentelle Musik sich einer großen Beliebtheit erfreut, was Asuar seinerzeit beabsichtigte – das Hörerlebnis auf eine andere Ebene zu bringen.

Abschließend möchte ich nochmal erwähnen, dass sowohl Mike Patton in Chile eine musikalische Heimat gefunden hat (die „Guachacas“ von Chile wollten ihn 2013 zum König wählen), als auch beispielsweise Uwe Schmidt, der den meisten besser bekannt sein sollte als Señor Coconut oder Atom™. Falls nicht, habt ihr jetzt ein paar Hausaufgaben nachzuholen.

von LRTT* + Nicolás Requena

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